Freuen Sie sich nicht zu früh! Kürzlich bin ich 60 geworden und habe mich unheimlich gefreut, dass ich endlich 60 bin, jetzt kann ich nämlich nicht mehr mit 40 sterben! Es gibt ja den Satz: Der 60. Geburtstag ist der Tag, ab dem "Happy" und "Birthday" getrennte Wege gehen. Spätestens an diesem Tag aber muss man den Tatsachen ins Auge schauen: Ein Drittel des Lebens ist vorbei! Kurze Frage: Sind Sie auch überzeugt, dass Sie 90 bis 100 Jahre alt werden? Ich möchte Ihnen den Spass nicht verderben, aber Ihre Vorfreude könnte tatsächlich kopfvoran in die Hose gehen. Zugegeben, es gibt immer mehr ältere Leute, das ist statistisch erwiesen. Wie sie sich genau vermehren, ist mir zwar schleierhaft, aber es ist so. Sind wir bald soweit wie in dem Bergdorf, in dem die Leute so gesund waren, dass man einen 120jährigen totschlagen musste, um endlich den Friedhof einweihen zu können? Dass wir immer älter werden, habe ich auch gelesen, aber ich glaube es nicht. Erstens: Zeitungen sind eigentlich nur die kurze Vorstufe zum Altpapier. Zweitens: Haben Sie schon mal überlegt, wann die heute 100jährigen geboren wurden? Ziemlich genau vor 100 Jahren. Sie haben karge Zeiten erlebt, waren vielleicht sogar Verdingbuben, hatten zeitweise Schmalhans als Küchenmeister und haben 80% ihres Lebens ohne eine Spur moderner Medizin hinter sich gebracht. Wenn sie ein Gebrechen hatten, kippten sie ein Schnäpschen (Feiglinge haben es eingerieben), wenn sie bucklig wurden, nahmen sie einen Stock......trugen ab und zu ein Essigsöckli, das war's. Sie sind keineswegs aufgrund hochstehender Medizin so alt geworden, sie gingen nämlich häufig gar nie zum Arzt. Hauptgrund, dass wir älter werden, ist das WC und die Hygiene. Der Wechsel vom dampfenden Plumpsklo zur Wasserspülung mit Syphon und die aufkeimende Hygiene (schönes Wortspiel) haben es gebracht. Die Lebenserwartung war vor nicht einmal 100 Jahren noch bei etwa 50. Jetzt will die Wissenschaft das einfach extrapolieren und so tun, als ginge es immer so weiter. Kann da nicht plötzlich eine grosse Wende kommen? Hätten nicht auch die Saurier noch am Vorabend ihres Aussterbens eine Wette gemacht, dass es immer so weitergeht? Und dann, peng, Meteorit, oder was immer man vermutet, und die Saurier waren weg. Wenn man 60 ist, hat man sich schon eine grosse Blamage erspart, denn wer heute vorher stirbt, muss sich fast schämen. Denn allen ist dann klar: Der hat sich zu wenig bewegt, hat wohl zuviel geraucht oder zu fettig gegessen. Gut, Krebs lassen die Leute noch halbwegs gelten, der kann einem, in seiner Heimtücke auch hinterrücks überfallen und mit 30 dahinraffen. Nur eines ist sicher: Das Leben ist lebensgefährlich und endet in den allermeisten Fällen mit dem Tod. Wie wäre es mit dieser These: Die heutige Rentnergeneration ist die wohlhabendste seit jeher. Was aber, wenn die nächste oder übernächste Rentner-Generation von Existenzängsten geplagt und von der Gesellschaft, noch mehr als heute, als Belastung geächtet wird? Könnte da nicht eine gigantische Suizidwelle auf uns zukommen? Rentner würden in Massen, statt auf Kaffeefahrten in den Schwarzwald, mit EXIT-Autobussen in den noch schwärzeren Wald entschwinden, oder zumindest bei Krankheiten nicht mehr um jeden Preis am Leben hängen und plötzlich könnte so die Lebenserwartung innert weniger Jahre auf vernünftige 70 Jahre fallen und wir wären alle wieder zufrieden, wenn wir die 60 erreichten, würden uns verdient zurücklehnen und den Lebensabend geniessen. Heute aber sind die Rentner im dauernden Stress, beweisen zu müssen, dass sie noch lange nicht zum alten Eisen gehören. Sie joggen und bodybuildern um die Wette und haben keine Zeit mehr für die Enkel, denn heute muss man mit 75 die zwei nigelnagelneuen Hüftgelenke durch einem New York-Marathon amortisieren. Und das ist der tiefere Sinn dieser Kolumne: Ich möchte alle zwischen 20 und 50 schonend auf einen Trugschluss vorbereiten. Geniessen Sie das Leben so, wie wenn es spätestens mit 70 fertig sein könnte. Dann ist alles, was nachher kommt, noch das Sahnehäubchen auf dem Dessert und nicht einfach selbstverständlich. In diesem Sinne bin ich erfüllt von Freude, Ihnen einen wertvollen Tipp fürs Leben gegeben zu haben. Ich bitte, von Dankesschreiben abzusehen.
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